WER WAREN WIR IM AUSNAHMEZUSTAND?

Himalaya-Region

Himalaya-Region

Droma, 38, Heimarbeiterin

Die Dörfer und Städte der Himalaya-Region sind von der Corona-Pandemie weitgehend verschont geblieben. Dennoch wurde der Bevölkerung - wie in der ganzen Region - Mitte Februar ein Lockdown auferlegt. Über sechs Wochen lang herrschte eine strikte Ausgangssperre. Die Menschen durften ihre Häuser nicht verlassen, bloss alle zwei Tage war es einem Familienmitglied erlaubt, einkaufen zu gehen, bei jedem Schritt in der Öffentlichkeit waren Schutzmasken Pflicht. Heute hat sich die Situation beruhigt, die Maskenpflicht gilt nur noch auf Ämtern und bei Behördengängen. Langsam nimmt der gewohnte Alltag wieder seinen Lauf, beginnen sich die Menschen wieder zu entspannen. Und in dieser Phase des gesellschaftlichen Aufatmens erfährt in einer der tibetischen Kleinstädte der Himalaya-Region auch das tragische Schicksal einer Frau eine winzige, positive Wende.

Jahrzehntelang war Droma von ihrem Umfeld isoliert gewesen. Das Haus, in dem sie lebt, liegt ganz am Ende der Strasse am Fuss des Hügels. Droma leidet seit Geburt an einer Hautkrankheit, die Gesicht und Körper entstellt. Unzählige Arztbesuche haben die Ersparnisse ihrer Familie aufgezehrt, doch bislang hat ihr niemand helfen können. Vor einigen Monaten wurde sie von der tibetischen Übersetzerin einer Hilfsorganisation entdeckt und ans Licht geholt.
Ich hörte dank Bekannten in der Region von Droma und bat um einen Kontakt zu ihr. Ein Mitarbeiter der Hilfsorganisation erklärte sich bereit dazu, Droma meine Fragen zu stellen und Bilder zu machen. Sein Team half dabei, Dromas Antworten einzuordnen und in einen grösseren Kontext zu setzen. Genauere geographische Angaben und Namen dürfen nicht genannt werden. Umso mehr gebührt allen grossen Dank für ihren Mut und ihr Engagement, Dromas Schicksal weit über die Grenzen hinaus bekannt zu machen.

Droma in ihrem Zimmer

Droma in ihrem Zimmer

Was haben Sie heute gefrühstückt?
Momos mit Gemüse

Was vermissen Sie am meisten?
Schulbildung. Ich bin nie zur Schule gegangen. Ich kann weder lesen noch schreiben. Alle meine Freunde sind zur Schule gegangen.

Welches ist zu Ihrem wichtigsten Gegenstand geworden?
Ich weiss es nicht.

Was sehen Sie, wenn Sie aus dem Fenster blicken?
(Man sieht auf den Innenhof ihres Hauses und das Tor, neuerdings ist im Hof ein bisschen Gemüse angepflanzt. Doch Droma bricht bei dieser Frage in Tränen aus.)
Ich fühle mich einsam, weil ich allein lebe. Mein Herz tut mir weh (sie schluchzt).

Blick aus dem Fenster in den Innenhof

Blick aus dem Fenster in den Innenhof

Wie sieht das Haus aus, in dem Sie leben?
Es hat ein Schlafzimmer, eine Küche und einen kleinen Innenhof. Das Haus hat meinem Grossvater gehört.

Wie lange leben Sie schon hier?
Seit meiner Geburt.
(Sie durfte aufgrund ihrer Krankheit nicht zusammen mit ihren beiden Schwestern aufwachsen, man hielt sie im Haus des Grossvaters versteckt. Als er starb, bleib sie allein.)

Ich habe gehört, dass Sie an einer Hautkrankheit leiden. Was für eine Krankheit ist das?
Meine Lymphknoten funktionieren nicht gut.

Warum genau durften Sie nicht zusammen mit Ihren Schwestern aufwachsen?
Wäre ich mit ihnen im selben Haus geblieben, hätten sie nicht heiraten können. Kein Mann hätte sie jemals zur Frau nehmen wollen.
(Krankheit gilt in tibetischen Dörfern noch immer als Last oder als Schande, oft auch als böses Omen. Aus diesem Grund werden Kranke an den Rand der Gesellschaft gedrängt, oft sogar auch von ihren Familien ausgegrenzt.)

Das muss unendlich schmerzhaft gewesen sein.
Ja. Ich fühlte mich sehr einsam.

Wie haben Sie all diese Jahre in Einsamkeit verbracht? 
Ich bin im Haus herumgegangen, manchmal habe ich einen Spaziergang gemacht und Freunde besucht.
(Droma lebte die ganze Zeit von ihrer Familie getrennt. Man geht davon aus, dass sie ab und zu Besuch erhielt, aber niemand hat je ein Essen mit ihr geteilt.)

Konnten Sie wenigstens in den Laden gehen?
Ja, ich habe immer alles selber eingekauft.

Der Weg zu Dromas Haus am Fusse des Hügels

Der Weg zu Dromas Haus am Fusse des Hügels

Vor kurzem haben beide Schwestern einen Mann gefunden und geheiratet. Deshalb durfte Droma zum ersten Mal wieder zu ihrer Familie zurück. Sie traf ihre Mutter. Das war sehr emotional.

Was haben Sie gemacht, als Sie wieder in Ihr Haus zurückkehrten?
Mich ins Zimmer gesetzt.

Wie hat die Pandemie Ihr Leben beeinflusst?
Ich weiss nicht, wie ich das ausdrücken soll. Ich kann nicht wie die anderen arbeiten gehen. Das belastet mich sehr. Aber ich habe in den letzten Monaten gelernt, Handtaschen herzustellen.
(Dies geschah mit der Unterstützung der Hilfsorganisation. Ziel ist, dass sich Droma durch Heimarbeit ein kleines Einkommen erwirtschaften kann.)

Was macht Ihnen am meisten Angst?
Dass ich kinderlos bin. Ich weiss nicht, wer für mich sorgen wird, wenn ich alt bin.

Was ist Ihr grösster Wunsch?
Von meiner Krankheit geheilt zu werden.

Dromas Situation ist sehr neu - wie es weitergeht, weiss niemand. Viele Fragen bleiben offen. Aber ich werde nachhaken. Vielleicht findet sich sogar ein Arzt oder eine Ärztin, die mit Dromas Krankheitsbild vertraut ist und Anregungen zur Heilung geben kann.

Blick auf die tibetische Kleinstadt, an deren Rand Droma lebt.

Blick auf die tibetische Kleinstadt, an deren Rand Droma lebt.

Dromas Tor zur Aussenwelt

Dromas Tor zur Aussenwelt















Tel Aviv, Israel

Tel Aviv, Israel

Emporia, Kansas, USA

Emporia, Kansas, USA