WER WAREN WIR IM AUSNAHMEZUSTAND?

Soekarno-Hatta International Airport, Indonesien

Soekarno-Hatta International Airport, Indonesien

received_2619883638116740.jpeg

Ahmed Omar (Name geändert), 38, zuletzt Angestellter in einem Gebäckladen,
seit fünf Monaten gestrandet am Flughafen

Was vermisst du am meisten?

Meine Kinder. Wenn ich zurückkehrte von der Arbeit, wenn sie den Schlüssel in der Tür hörten, kam meine kleine Tochter auf mich zu. Das vermisse ich am meisten.

Was siehst du, wenn du aus dem Fenster blickst?

Ich sehe die Leute, die den Flughafen verlassen, und wünsche mir, ich wäre einer von ihnen. Ich sehe die Autos und die Motorräder, die sie abholen, höre ihr Lachen und ihre Gespräche. Ich hoffe, dass ich irgendwann auch meine Tasche nehmen und nach einem Arbeitstag nach Hause gehen kann.

Was ist der wichtigste Gegenstand?

Die Bilder meiner Kinder, die ich auf dem Handy habe. Und natürlich das Bild von meiner Frau.

Was hast du gefrühstückt?

Das ist dieselbe Frage, die mir meine Familie jeden Tag stellt. Ihnen sage ich, dass ich etwas Gutes zu essen hatte, damit sie sich keine Sorgen machen. Aber eigentlich ist es das Gleiche wie immer: Reis und ein kleines Stück Poulet oder Fleisch dazu.

"Ich weiss gar nicht genau, was ich dir zu Corona erzählen kann. Klar, ich habe ein bisschen Angst. Denn ich weiss nicht, woher die Leute alle kommen, die hier, am Terminal 3, landen. Sie benutzen die gleiche Toilette wie ich, auch die Angestellten, die am Flughafen arbeiten und jeden Tag von draussen reinkommen. Ansonsten kann ich wenig zur Pandemie sagen. Da sind einzig jene Leute, die mit mir im Zimmer sind, die wegen des lahmgelegten Flugverkehrs festsitzen. Aber immerhin haben sie ein Heimatland, in das sie irgendwann zurückkehren können. Ich habe das nicht. Ich bin wie zwischen Himmel und Erde, weder hier noch dort. Auf die Erde, in mein Heimatland Syrien, kann ich nicht zurück. Und was mich im Himmel erwartet, weiss ich nicht.

Seit fünf Monaten sitze ich am Soekarno-Hatta Flughafen in Indonesien fest. Ich hatte in Saudi-Arabien gearbeitet, zehn Jahre lang, von 2009 bis 2019. Dann musste ich ausreisen. Es wurde immer schwieriger für Ausländer, in Saudi-Arabien eine Arbeitsbewilligung zu erhalten. Zurück nach Syrien konnte ich nicht, denn dort erwartet mich der Militärdienst. Ich schickte also nur meine Frau und meine zwei Kinder zurück in unser Dorf und reiste allein nach Malaysia – eines der wenigen Länder, in die ich als Syrer ohne Visum einreisen kann. Doch nach drei Monaten lief meine Aufenthaltsbewilligung ab. Ich wollte zwei Wochen nach Indonesien und dann zurück. Doch als ich wieder in Kuala Lumpur landete, liessen mich die malaysischen Behörden nicht mehr einreisen. Ich glaube, ich hatte einfach Pech mit dem Zollbeamten, denn ich kenne auch Syrer, die wieder in Malaysia einreisen konnten. Sie hielten mich fünf Tage fest, ich schlief am Boden, ohne Decke in einem sehr kalten Raum. Dann deportierten sie mich nach Indonesien.

Um ehrlich zu sein, habe ich nicht damit gerechnet, dass ich hier so lange gestrandet sein würde. Nach meiner Ankunft kontaktierte ich das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Man fragte mich, ob ich in Indonesien Asyl beantragen wolle, und informierte mich, dass ich hier als Flüchtling nicht arbeiten dürfe und auch keinerlei Unterstützung kriegen würde. Ich lehnte ab. Ich dachte an meine Kinder in Syrien: Wenn ich nicht arbeiten kann, wie sollte ich sie unterstützen? Ich frage jeden Monat Freunde an, ob sie ihnen helfen könnten. Denn mein Geld ist längst aufgebraucht.

Die Tür des Zimmers, in dem Ahmed derzeit schläft

Die Tür des Zimmers, in dem Ahmed derzeit schläft

Ich suchte nach einer Möglichkeit, legal in ein anderes Land zu reisen. Doch es ging nicht. Die wenigen Länder, die mich als Syrer ohne Visum einreisen lassen, wie der Sudan oder Libyen, akzeptieren mich nur, wenn ich direkt aus Syrien komme. Aber dort kann ich ja nicht hin. Also beschloss ich, dennoch Asyl in Indonesien zu beantragen. Die Behörden lehnten meinen Antrag ab.

Am Anfang war ich in einem abgeschlossenen Raum im Terminal 2 untergebracht. Als die Corona-Pandemie ausbrach, wurde Terminal 2 geschlossen, und ich wurde in den Terminal 3 verlegt. Auch hier waren ich anfangs eingeschlossen. Die Tür wurde nur geöffnet, wenn ich oder einer der Leute, die ebenfalls hier eingesperrt sind, auf die Toilette musste. Irgendwann jedoch fanden es die Angestellten zu mühsam, ständig die Tür zu öffnen und wieder abzuschliessen. Von da an liessen sie sie offen.

Ahmed hat den Regen draussen gefilmt, den er so liebt. Er ist so stark, dass man ihn auf der Tonaufnahme hört – zwischen dem Stimmengewirr in der Halle des Terminals 3

Ahmed hat den Regen draussen gefilmt, den er so liebt. Er ist so stark, dass man ihn auf der Tonaufnahme hört – zwischen dem Stimmengewirr in der Halle des Terminals 3

Wenn ich das Zimmer verlasse und die Reisenden in der Halle sehe, beneide ich sie. Ich sehe, wie sie rausgehen, und wünsche mir, ich wäre einer von ihnen. Vor allem wenn es draussen regnet. Ich liebe den Regen, wenn ich ihn sehe, würde ich am liebsten einfach raus, zusammen mit meinen Kindern. Das alles erzähle ich meiner Familie natürlich nicht. Ich erzähle nicht, dass mich diese Situation belastet, dass es mir nicht gut geht. Ich will nicht, dass sich meine Frau oder meine Mutter noch mehr Sorgen machen. Wenn ich mit meinem fünfjährigen Sohn rede, sagt er immer, komm hierher, Papa. Was soll ich ihm antworten?

In unserem Zimmer werden Menschen untergebracht, denen Indonesien die Einreise verweigert. In den letzten fünf Monaten habe ich bestimmt hundert Leute kommen und gehen gesehen. Die meisten bleiben nur wenige Tage, bevor sie in ihr Heimatland zurückgebracht werden. Sie werden besser behandelt von den Angestellten, klar, als Europäer haben sie ja auch eine starke Botschaft hinter sich. Sie kriegen Essen und Trinken, selbst wenn sie mitten in der Nacht ankommen. Mir bringt die Airline, die eigentlich für meine Verpflegung zuständig ist, nicht einmal Wasser.

Am Anfang kam manchmal ein Mitarbeiter der Airline, verlangte Geld von mir, um mir davon Essen zu kaufen, obwohl die Airline eigentlich bezahlen müsste. Dann fotografierte er mich jeweils mit dem Essen – als Beleg, dass er seinen Job getan hatte. So kann er von der Firma das Geld dafür auch noch einmal einstecken. Einmal wollte mich ein Mitarbeiter sogar fotografieren, als ich selbst etwas zu Essen gekauft hatte – ich habe Nein gesagt. Meistens beschwere ich mich nicht. Aber wenn ich eine Botschaft hinter mir wüsste, die mich als Bürger ihres Landes respektiert, dann würde ich diese Behandlung nicht auf mir sitzen lassen. Jetzt versorgt mich statt der Airline die Migrationsbehörde mit Mahlzeiten, auch wenn sie es an manchen Tagen vergessen.

Reis, ein kleines Stück Fleisch oder Hähnchen, und ein bisschen Gemüse oder Meeresfrüchte – so sieht Ahmeds tägliche Mahlzeit aus.

Reis, ein kleines Stück Fleisch oder Hähnchen, und ein bisschen Gemüse oder Meeresfrüchte – so sieht Ahmeds tägliche Mahlzeit aus.

Ab und zu kam es vor, dass mich die Angestellten der Fluggesellschaft oder selten auch jene der Migrationsbehörde mich drängten, nach Syrien zurückzukehren. Einmal kamen sie sogar, und drohten, dass sie mich am folgenden Tag deportieren würden. Es ist dann nichts passiert. Ich glaube, es schwierig für sie, mich zu deportieren, weil ich beim UNHCR registriert bin.

Vor wenigen Tagen hat mir das Hilfswerk mitgeteilt, dass meine Papiere jetzt bei einer Botschaft zur Prüfung seien. Das hat mir wieder etwas Mut gegeben. Sonst hätte ich vielleicht aufgehört zu essen. Denn seit fünf Monaten warte ich, und die Tage, die Stunden und Minuten wollen nicht vergehen. Es ist sehr schwer, dieses Warten auszuhalten, ohne zu wissen, wie lange ich hier bleiben soll, und ohne die geringste Ahnung, was danach kommt."

 

Teheran, Iran

Teheran, Iran

Gaza, Palästina

Gaza, Palästina