WER WAREN WIR IM AUSNAHMEZUSTAND?

Larne, Nordirland

Larne, Nordirland

Donna Mulholland (32), Beauty-Therapeutin

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Was siehst du, wenn du aus dem Fenster blickst?
Ich sehe meinen Garten mit Holzterrasse und Topfpflanzen. Dort konnten wir im Sommer mit Freunden sitzen und plaudern, ohne grosse Angst vor einer Ansteckung zu haben.

 Was hast du gefrühstückt?
Ich trinke immer eine Tasse Kaffee und setzte mich für eine halbe Stunde hin, bevor ich den Tag starte. Ich esse normalerweise kein Frühstück, meine erste Mahlzeit ist das Mittagessen.

 Was vermisst du am meisten?
Zeit mit meiner Familie und Freunden zu verbringen. Vor allem Treffen mit meinem Vater und meiner Stiefmutter sind nicht möglich, denn sie pflegt ihre Eltern, die ein hohes Alter haben.

 Welches ist dein wichtigster Gegenstand geworden?
Wahrscheinlich mein Smartphone. So kann ich mit meinem Umfeld in Kontakt bleiben. Ich habe mehrere Whatsapp-Gruppen, die ich regelmässig anrufe. 

Donna im Carnfunnock Country Park an der Küste Nordirlands

Donna im Carnfunnock Country Park an der Küste Nordirlands

Ich streiche gerade unser Schlafzimmer neu. Ich plane, die ganze Wohnung zu streichen. Ich nenne es “meine Lockdown-Aufgabe”. So halte ich mich beschäftigt, denn meinen Salon musste ich vor ein paar Wochen erneut schliessen. Ich bin Beauty-Therapeutin. Das ist meine Zweitausbildung. Nach meinem Mathematikstudium arbeitete ich erst auf einer Bank, doch ich war nicht glücklich damit. Also bildete ich mich weiter und eröffnete vor zwei Jahren meinen Salon, wo ich Massagen, Gesichtsbehandlungen, Haarentfernungen und Nägel mache. Ich führe ihn alleine, denn er ist übersichtlich klein, noch könnte ich mir keine Angestellten leisten. Alles startete gut, ich durfte viele Kundinnen und Kunden von meiner Vorgängerin übernehmen, und unter mir ist ein Coiffeur eingemietet, dessen Kundinnen anschliessend oft zu mir hochkommen. So, wie der Salon derzeit läuft, wäre ich zufrieden, doch weil er nun zum zweiten Mal in diesem Jahr geschlossen ist, nehme ich nichts ein.

Donna und ihr Freund Connah Armstrong, Feuerwehrmann von Beruf

Donna und ihr Freund Connah Armstrong, Feuerwehrmann von Beruf

Mein Freund Connah und ich wohnen in Larne, einer Stadt an der Küste Nordirlands. Unsere politische Situation macht Covid fürwahr nicht einfacher. Die beiden regierenden Ministerinnen Nordirlands sind betreffend der Massnahmen nicht auf derselben Linie, da sie entgegengesetzten politischen Parteien angehören. Die eine möchte der Covid-Politik Englands folgen, weil wir Teil des Vereinten Königreichs sind. Die andere will jene von Irland übernehmen, weil wir alle auf derselben Insel leben. Das erzeugt gerade sehr viele Spannungen, und seit Beginn der zweiten Welle wird die Pandemie erneut politisiert. Persönlich sehe ich bezüglich der Covid-Massnahmen mehr Sinn darin, mit Irland gleichzuziehen, da wir uns ja innerhalb unserer Insel vor Ansteckung schützen müssen. Aber politisch sind wir ein Teil des Vereinten Königreichs und müssen machen, was London sagt. Das ganze Hin und Her bringt uns nicht weiter im Kampf gegen die Pandemie.

Als Selbstständige mit eigenem Geschäft hat mich der Lockdown im Frühling hart getroffen. Ich bin von Behörde zu Behörde gelaufen, aber wie sich herausstellte, war ich für die Arbeitslosenversicherung schon zu lange nicht mehr angestellt und für eine Ausfallentschädigung noch nicht lange genug selbstständig. Ich bin durch alle Maschen gefallen. Jetzt, im aktuellen Lockdown, sollte ich endlich etwas bekommen. Das Geld hätte mittlerweile jedoch bei mir eingetroffen sein müssen, aber erhalten habe ich noch nichts. Das bedeutet, dass ich dieses Jahr nun bereits vier Monate lang kein Einkommen habe, das ist sehr frustrierend. Umso mehr denkt man da: “Ihr Politiker, streitet nicht herum, sondern kommt zu einem Entscheid und unterstützt uns endlich!” Andererseits habe ich Glück – mein Freund ist angestellt, er ist Feuerwehrmann, und auch meine Eltern halfen mir grosszügig aus. 

Der grösste Unterschied zum Frühlings-Lockdown ist das Wetter. Im Frühling traf man sich draussen, konnte soziale Kontakte pflegen. Jetzt regnet es viel, es ist kälter und die Leute ziehen sich in die Häuser zurück. Familie und Freunde sieht man nur noch per Videoanruf. Auch merke ich, dass viele Leute frustriert sind, dass sie auch in der zweiten Covid-Welle keine ausreichende Orientierungshilfe von der Regierung bekommen. Deshalb machen manche ihr eigenes Ding und halten sich nicht mehr an die Regeln. Das wurde durch Presseberichte noch untermalt. Zum Beispiel erfuhren wir, dass eine Person, die kürzlich in einem Autounfall gestorben war, als Covid-Toter registriert wurde, weil er zuvor positiv getestet worden war. Oder, dass Leute, die nicht zum vereinbarten Test-Termin erscheinen, automatisch als Covid-Patienten registriert wurden. Es sind ziemlich verrückte Meldungen, die viele Menschen an den Covid-Zahlen zweifeln lassen. Und die wohl viele dazu bewegen, sich nicht mehr an die Regeln zu halten.
Übrigens, während der letzten beiden Wochen durfte ich den Salon öffnen. Die Kunden haben mir buchstäblich die Tür eingerannt, und ich habe wie am Fliessband gearbeitet - bevor ich den Salon vergangenen Freitag wieder schliessen musste.

Nordirland zählt 1,8 Millionen Einwohner. Gemäss des Gesundheitsdepartements Nordirlands waren am 20. November 2020 429 Personen wegen Covid-19 hospitalisiert. 933 Patienten sind seit dem Ausbruch der Pandemie im Land gestorben. Die Zahlen der bestätigten Fälle sind aktuell abnehmend. Wurden am 1. November noch 634 positive Fälle registriert, waren es am 18. November 436.

 

Fast schon eine Idylle:  Blick über die Küste vom Carnfunnock Country Park aus

Fast schon eine Idylle: Blick über die Küste vom Carnfunnock Country Park aus

Flurina Dünki 

Beirut, Libanon

Beirut, Libanon

Muscat, Oman

Muscat, Oman