Kuala Lumpur, Malaysia
Farzad Farzin*, 24, Hotelangestellter
Was siehst du, wenn du aus dem Fenster blickst?
Ich kann die Leute unten sehen. Hier gibt es viele Wohnungen, links ist ein Park, Kinder spielen, rechts ist eine Firma, eine Autowaschanlage, du weisst schon. Ich kann dir das Bild gleich schicken, hier der Park, dort der Chinesische Tempel.
Was hast du heute gefrühstückt?
Ich frühstücke eigentlich nie, ich habe nur etwas zu Mittag gegessen. Drei Jahre in Malaysia und kein Frühstück. Als Mittagessen gibt es Reis und Poulet, die ich zu Hause koche, oder manchmal auch Kartoffeln. Es ist teuer, auswärts zu essen. Manchmal esse ich am Abend gar nichts, wenn ich kein Geld habe, um Essen zu kaufen. Während dieser Quarantäne hatte ich mal drei Tage, an denen ich gar nichts gegessen habe. Jetzt leihe ich mir Geld von den Freunden, mit denen ich lebe.
Was ist im Moment das Wichtigste für dich?
Zu beten, dass diese Zeit bald vorbei sein wird. Wann wird es vorbei sein, wenn alle tot sind? Ich sage mir manchmal, dass nur mir so etwas passiert. Meine Freunde haben Unterstützung, aber ich habe das nicht, ausserdem keine Arbeit, wir sind im Lockdown. Es ist deprimierend in der Quarantäne.
Was vermisst du am meisten?
Ich vermisse nichts, ich vergesse, was geschehen ist. Vermissen ist nur etwas für Leute, die andere Menschen haben, die sie vermissen könnten. Mein pakistanischer Freund hat seinen Onkel hier. Ich habe niemanden, den ich vermissen könnte. Ich überlege nur, wie ich in ein anderes Land gehen kann, um zu arbeiten oder zu studieren. Hier ist es nicht möglich, irgendetwas zu tun. Wenn die Polizei mich auf der Strasse erwischt, sagen sie, das UNHCR könne nichts tun in Malaysia, sie fragen, warum ich nicht in die Türkei gegangen bin, warum nach Malaysia? Ich sage nur, es sei in Ordnung, kein Problem. Ich bin hier seit drei Jahren.
Ich lebe eine halbe Stunde ausserhalb von Kuala Lumpur mit meinen Freunden aus Indien und Pakistan, jedem Monat zahle ich rund 50 Euro für meine Miete.
Ich bin aus Afghanistan. Seit 2017 bin ich in Malaysia. Davor habe ich drei Jahre als Flüchtling in Deutschland gelebt, bevor sie mich nach Afghanistan abschoben. Zuerst dachte ich, wenn ich wieder in Afghanistan bin, werde ich mich umbringen. Denn wo sollte ich hingehen? Doch dann habe ich nicht aufgegeben. Ich habe in einem Hotel gearbeitet, einen neuen Pass gemacht, und bin nach Malaysia gereist.
Als ich ankam damals, war es einfacher, einen Job zu finden. Alles war billig. Jetzt hat sich alles geändert. Geflüchtete dürfen eigentlich gar nicht arbeiten, sie haben keine Arbeitsbewilligung. Deswegen arbeiten sie schwarz. Wenn die Polizei einen Geflüchteten verhaftet, muss er bezahlen, 500 Euro, 1000 Euro, um wieder aus dem Gefängnis zu kommen. Wer nicht zahlen kann, wird deportiert. Auch mich könnten sie deportieren, wenn sie mich beim Arbeiten erwischen. In zweieinhalb Jahren ist das allerdings noch nie passiert.
Vor dem Lockdown habe ich in einem Hotel gearbeitet. In den drei Jahren in Malaysia war ich auch mal arbeitslos, manchmal haben sie meinen Lohn nicht bezahlt. Eine Sicherheitsfirma hat mir mal über acht Monate hinweg meinen Lohn nicht bezahlt. Aber wenn du illegal bist, kannst du dich nicht wehren. Jetzt sagen sie überall, malaysische Leute zuerst, wir Ausländer müssten warten, bis sie Arbeit hätten. Dann erst kriegen wir einen Job. Ich weiss nicht, wie lange das dauern wird.
Ich habe einen Flüchtlingsausweis vom UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Aber damit kann ich weder arbeiten noch studieren. Dabei leben die meisten Geflüchteten über Jahre hier. Wenn wir studieren könnten, wäre diese Zeit nicht verloren. Stattdessen kannst du dich nicht einmal frei bewegen. Wenn ich in Kulala Lumpur unterwegs bin, muss ich jedes Mal fürchten, dass sie mich verhaften.
Eigentlich mag ich Malaysia. Ich mag den Frieden – wo immer es Frieden hat, finde ich es schön. Aber ich kann nicht arbeiten, ich habe keine Papiere, ich habe gar nichts. Die meisten Leute, die ich hier treffe, haben wenigstens noch ihre Familie. Ich hingegen bin allein, ich habe meine Familie verloren wegen dem verdammten Krieg.
Als ich in Afghanistan war, habe ich überlegt, in welches Land ich gehen könnte und mich für Malaysia entschieden. Ich dachte, von hier aus könnte ich weiter nach Australien, Kanada oder Neuseeland. Ich will irgendwo hin, wo ich studieren oder arbeiten kann. Über das UNHCR gibt es die Möglichkeit, in ein anderes Land zu reisen. Bis letztes Jahr konnten viele Geflüchtete Malaysia auf diesem Weg verlassen, und auch ich warte auf mein Interview beim UNHCR, damit ich Malaysia verlassen kann. Ich wartete auf ihren Anruf – aber dann kam das Coronavirus.
Die Zeit im Lockdown war verrückt. Zwei Monate lang zu Hause, die ganze Zeit. Den Malaysiern geht es gut dabei, die Regierung zahlt ihnen im Monat 2000 Ringet – aber eben nur ihnen. Ausländer, Geflüchtete: Nichts. Nur ein paar Organisationen helfen den AfghanInnen hier und verteilen Essen. Doch das ist meistens abgelaufen. Einmal habe ich eine Portion genommen, doch als ich sah, dass sie vor fünf Monaten abgelaufen war, habe ich sie weggeschmissen. Ich habe nichts mehr zu Essen und kein Geld, ausser, wenn ich mir von Freunden etwas leihe. Meine zwei Freunde zu Hause sind aus Pakistan und Indien – sie haben eine Arbeitserlaubnis.
Ich versuche, mich zu beschäftigen. Ich möchte später einmal Informatik studieren, In der Cyber Security zu arbeiten ist mein Traum, zum Beispiel bei der Nasa oder bei Google. Jetzt lerne ich selbst über das Internet, um keine Zeit zu verlieren. Ich würde auch gerne Chinesisch lernen, weil hier viele grosse Firmen chinesisch sind. Aber die Sprache ist sehr schwierig.
Als ich 20 Jahre alt war, floh ich von Afghanistan nach Deutschland. Drei Jahre lang war ich in der Nähe von Krefeld gelebt, ich habe Deutsch gelernt und eine Ausbildung zum Elektrotechniker gemacht. Aber dann haben sie mich wegen eines Fehlers nach Afghanistan deportiert, wegen Diebstahl eines Handys. Mein Anwalt hat Widerspruch eingelegt, doch sie haben mich noch vor dem neuen Gerichtsverfahren deportiert. Als ich in Afghanistan war hiess es, sie können nichts mehr für mich tun.
Um fünf Uhr Morgens sind sie in meine Wohnung gekommen und haben mich abgeholt. Dabei war ich seit drei Jahren in Deutschland, habe Deutsch studiert und gearbeitet.
Stell dir vor, du gehst illegal von Afghanistan nach Deutschland. Du reist durch all diese Länder, Griechenland, Italien, Frankreich, du studierst für drei Jahre und dann bringen sie dich einfach zurück. Sie sagen dir nicht einmal, was der Grund ist. Du fragst die Polizisten, die dich deportieren, und sie sagen, "ich weiss nicht, ich weiss nicht." Wie einen Kriminellen haben sie mich von zu Hause abgeholt. Um fünf Uhr, weil sie wissen, dass ich normalerweise um sechs Uhr das Haus verlasse. Sie haben an der Tür geklopft, drei Polizisten, ich fragte sie, was los ist – sie sagten, sie wüssten es nicht.
Stell dir vor, Mitten in der Nacht kommen sie und holen dich. Als ich in Afghanistan ankam, suchte ich zusammen mit einem anderen Afghanen, der mit mir deportiert wurde, eine Wohnung. Er hatte sein ganzes Leben in Pakistan gelebt, er war nie zuvor in Afghanistan. Wir fanden ein kleines Zimmer zur Miete, es war Dezember und Minus 10 Grad. Es war sehr kalt.
Mein Freund überquerte dann illegal die Grenze zu Pakistan. In Afghanistan habe ich angefangen, in einem Hotel zu arbeiten. Als ich 2000 Dollar zusammengespart hatte, habe ich sie jemandem gegeben, der mich nach Malaysia gebracht hat. Ich konnte kein Englisch, als ich ankam, jetzt spreche ich es fliessend. Ich kann auch ein bisschen Hindi sprechen und ein bisschen Französisch. Mein Deutsch aber habe ich vergessen, seit 3 Jahren hatte ich keinen Kontakt mehr mit deutschen Leuten. Jetzt rede ich mehr Englisch als Deutsch.
Ich habe niemanden, weder in Afghanistan noch hier. Wo sollte ich hingehen? Aber ich habe nicht aufgegeben. Auch jetzt nicht, ich habe Zeit. Ich habe Hoffnung, und die macht mich stark.