Karlsruhe, Deutschland
DIANA EZEREX, 26, Sängerin und Songwriterin
Ich glaube daran, dass Musik uns gesellschaftlich verändern kann und Menschen eine Stimme gibt, die sonst im Verborgenen bleiben.
Was siehst du, wenn du aus dem Fenster blickst?
Mein Zimmer liegt unter einem großen, schrägen Dachfenster. Wenn die Sonne untergeht, sehe ich den lila Himmel.
Was hast du heute Morgen gefrühstückt?
Es gab einen Ingwershot, eine halbe Zitrone, zwei Kannen Schwarztee und mein Müsli. Das mixe ich mir aus Lein- und Chiasamen, Sonnenblumenkernen, Flohsamenschalen, Haferflocken und Apfelstücken mit Joghurt zusammen.
Was ist dein wichtigster Gegenstand?
Falls mein Haus abbrennen sollte, wüsste ich gar nicht, was ich als Erstes mitnehmen würde. So langweilig es klingt, wahrscheinlich mein Handy. Darauf mache ich Notizen, speichere meine Gespräche und Ideen - vor allem jetzt, in der Isolation, ist es meine Möglichkeit, noch immer mit der Welt zu kommunizieren.
Ist die Bühne ein Ort der Freiheit für dich?
Auf der Bühne fühle ich mich sehr sicher. Trotzdem verliere ich dort nicht alle Hemmungen. Es ist eher ein Ort, an dem ich mich sehr wohl fühle.
Du trittst auch in Haftanstalten auf, was hat dich dazu angetrieben?
In Gefängnissen aufzutreten, ist komplett meiner Neugierde geschuldet. Ich fragte mich schon lange, was das für Menschen sind, die da Tag und Nacht einsitzen. Was sie für Gedanken und Familiengeschichten haben. Was sie dorthin gebracht hat und in was für einer isolierten Parallelwelt sie dort heute leben.
Geht das auch heute noch?
Leider kann ich seit letztem März nicht mehr im Gefängnis auftreten. Das wird wohl auch noch eine Weile so weiter gehen. Die Haftanstalten sind komplett abgeriegelt und niemand darf zu Besuch kommen. Natürlich geht es auch darum, das Virus draußen zu halten, was ich nachvollziehen kann, trotzdem macht es die Haft nochmal härter für die InsassInnen.
Wie hat sich deine Arbeit während der Pandemie sonst verändert?
Meine Arbeit ist digitaler geworden. Ich traue mich gar nicht zu sagen, wie viele Stunden ich täglich am Handy hänge oder vor dem PC sitze. Das muss ich auch, um Online-Konzerte zu planen und mit Leuten jenseits meiner Wohnung in Kontakt zu bleiben. Wie es wohl wird, wenn die Situation wieder normaler ist und wir wieder auf Konzerte gehen können? Es wir ein spannender Moment, zu sehen, ob Menschen sich dann wieder auf Konzerte trauen.
Wie empfindest du diesen Winter in der zweiten Corona-Welle in Deutschland?
Es ist anders als beim ersten Mal. Im vergangenen März kam ich hoch inspiriert von einem Pop-Kurs an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg nach Karlsruhe zurück. Meine MitbewohnerInnen waren zu jenem Zeitpunkt nicht zu Hause, und ich hatte für einige Wochen eine riesige WG für mich allein zum Musizieren und Schreiben von Songs. Ich konzipierte in dieser Zeit mein neues Album. Das war eine unglaublich kreative Zeit. Das Alleinsein habe ich damals sehr genossen.
Heute bin ich auf eine ganz andere Art und Weise aktiv. Meine Kreativität nutze ich nun, um Möglichkeiten zu finden, an meinem Gefängnisprojekt (“Prison Concerts”) zu arbeiten und mehr Menschen zu akquirieren, die an dem Projekt mitwirken wollen.
Hast du dich in dieser Zeit mal eingesperrt gefühlt?
Eingeschränkt ja, eingesperrt nein. In Deutschland lebe ich in einem Land, in dem ich sicher bin. Wo ich trotzdem zum Einkaufen gehen, mich mit Leuten treffen kann oder im Notfall das Haus jederzeit verlassen darf.
Was bedeutet Befreiung für dich?
Das ist ein besonderes Wort. Ich finde Freiheit hat verschiedene Dimensionen. Zum einen entspringt sie aus dem Seelischen, aus unserem Geist. Wir können uns frei machen von Süchten, von Altlasten und von Traumata. Also von allem, was wir so mitbekommen haben in unserer Kindheit oder was wir auf dem Weg in unseren Rucksack laden. Und dann bedeutet Befreiung natürlich auch die Freiheit dorthin zu gehen, wohin wir gehen wollen und die Menschen zu treffen, die ich treffen will.
Das kann durch politische oder religiöse Verfolgung eingeschränkt werden. Doch für uns alle stellen sich im Alltag immer wieder die Fragen: Was gehört sich? Was darf ich? Was muss ich gut finden? Was muss ich scheiße finden? Jeder ist einem anderen sozialen Druck ausgesetzt.
Was beschäftigt dich im Moment?
Wie Menschen aufwachsen und welche Spuren des Lebens bleiben. Es macht mich ziemlich fertig, wenn ich sehe, wie schlecht wir uns gegenseitig behandeln. Sei es in Bezug auf Aussehen, Religion oder einfach, weil sich jemand einem anderen überlegen fühlt. Es ist anstrengend und ermüdend zu sehen, dass Menschen einander nicht in Frieden lassen können. Das macht mich oft richtig traurig. Mit meiner Musik will ich etwas Kleines dazu beitragen, dass sich da etwas ändert.
Welche gesellschaftlichen Baustellen siehst du hier vor allem in deinem eigenen Umfeld? In Deutschland?
Ich glaube, dass wir unterschätzen, welche Auswirkungen auch unsere kleinsten Handlungen haben. Doch es ist wichtig, auch darin eine Balance zu finden. Wenn ich Menschen etwas Gutes tue, nur um dadurch „etwas bei ihnen gut zu haben“ oder generell niemandem zur Last zu fallen, ist das der falsche Ansatz. Ein Lächeln, auch wenn ich mich vielleicht nicht danach fühle, kann im Gegenüber so viel Positives auslösen – vor allem, wenn er oder sie dir vielleicht sogar ansieht, dass es dich Kraft gekostet hat, geduldig und nett zu sein. Die Tür aufzuhalten, auch wenn man mit seinem eigenen Struggle genug zu tun hat, ist wichtig und hat eine enorme Macht. Wir können etwas verändern. Das Kleine beeinflusst das Große.
Worum geht es in deinem neuen Album?
Im Grunde geht es um die Frage, wie wir miteinander umgehen und warum. Es geht um ein Konzept, das die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Gefängnisinsassinnen erzählt: Wo kommen die Menschen her? Wie kommt man wieder in der Gesellschaft an nach 15 oder 20 Jahren Haft? Dabei geht es auch um soziale Missstände und soziale Ungleichheit. Jeden Song soll mit einem Kurzfilm visualisiert werden. Ich arbeite dazu auch noch an einem Theaterstück und an einem Buch, damit das Thema für viele verschiedene Zielgruppen zugänglich wird.
Hast du diese Zeit in deiner Musik ausgedrückt?
Ich habe angefangen, diese Zeit nicht nur musikalisch, sondern auch lyrisch zu beschreiben. Auf Instagram oder auch auf Twitter notiere ich immer mal wieder ein paar Gedanken, die diese Einsamkeit und Isolation thematisieren.
Braucht es für Musik ein Publikum?
Musik kann einfach nur sein. Musik bietet die Möglichkeit Sachen zu verarbeiten - auch für den Musiker selbst. Es gibt so viele Musiker, die ihre Arbeit nicht veröffentlichen. Sehr viel Musik hat kein Publikum.
Wann hast du das letzte Mal so richtig gelacht?
Heute Morgen, als ich ein Video von einer Performance von mir gesehen habe. Da musste ich so richtig über mich lachen.
Wo singst du als nächstes?
Ich habe einige Online-Veranstaltungen im Moment. Und sonst privat gebuchte Life-Streaming Konzerte.
Wie bist du ins neue Jahr gekommen?
Sehr entspannt! Dass aber jetzt schon wieder Mitte Januar ist, schüchtert mich ein. Dieses Leben rennt so unglaublich schnell.