WER WAREN WIR IM AUSNAHMEZUSTAND?

Kairo, Ägypten

Kairo, Ägypten

MennaHaus.JPG

Menna Elkhateeb, 32, Webdesignerin

Menna1 - 1.jpg

Was siehst du, wenn du aus dem Fenster blickst?
Die Lichterkette aus grünen, blauen und rosa Lämpchen, die ich zu Beginn des Ramadans an unserem Balkongeländer aufgehängt habe, und die Wohnblöcke um uns herum, wir sind im siebten Stock. Wir leben in einem neuen Viertel Kairos, lehne ich mich aus dem Fenster, sehe ich Kinder, die unten, auf dem Asphalt, zwischen den Gebäuden spielen. 

Was hast du heute Morgen gefrühstückt?
Foul, gebackene Eier, Käse und Joghurt

Welches ist dein wichtigster Gegenstand?
Meine Kaffeetasse und mein Skizzenblock für meine Lieblingsgebete, Zeichnungen und Zitate, die mir wichtig sind, darunter auch eins von Coco Chanel 

Was vermisst du am meisten?
Meine Eltern zu umarmen und mit meinen Freuden ins Café zu gehen

“Während des Ramadans liebe ich es ganz besonders, in die Moschee zu gehen, Menschen zu begegnen, mit ihnen zu beten und zu reden, die Atmosphäre ist jeweils unbeschreiblich. Doch das ist uns jetzt untersagt. Im ganzen Land sind die Kirchen und Moscheen geschlossen, das ist noch nie vorgekommen, schon gar nicht während des Ramadans. Mohammed, mein Mann, und ich haben uns nun eben zuhause, in unserer Wohnung, eine Ecke eingerichtet, wo wir zusammen beten und den Koran lesen. Die Ecke ist unsere eigene kleine Moschee. Sie sieht sehr hübsch aus. Ich habe sie geschmückt mit Laternen und einer Lampe in Form eines Halbmonds. 

Die Ecke ist unsere eigene kleine Moschee. Ich habe sie geschmückt mit Laternen und einer Lampe in Form eines Halbmonds


Offiziell sind in Ägypten 3000 Menschen mit dem Virus infiziert und 400 daran gestorben, aber ich glaube diesen Zahlen nicht, es muss sehr viel mehr Infizierte geben. Alle Schulen sind geschlossen, Prüfungen abgesagt, die Flugzeuge stehen am Boden, die Strassen in Kairo sind leergefegt, all diese Strassen, durch die sich vor der Pandemie noch der Verkehr gewälzt hat und die ständig verstopft waren, die sind nun leer, einfach leer, das ist gespenstisch. Zudem stehen überall Polizisten herum, vielleicht um zu überwachen, dass die Ausgangssperre eingehalten wird. Denn abends gehen die Ägypter gerne aus, spazieren dem Nilufer entlang, sitzen in Cafés, rauchen Shisha. Aber auch das ist jetzt verboten, von neun Uhr abends bis sechs Uhr Uhr morgens dürfen wir unsere Wohnungen nicht verlassen. Wohltätigkeitsorganisationen rufen übers Fernsehen dazu auf, Geld zu sammeln für Bedürftige in Oberägypten und auch Mahlzeiten zu spenden, denn viele Menschen haben ihre Arbeit verloren und können sich Nahrungsmittel nicht mehr leisten. Eine Organisation hat für ihre Kampagne sogar Fernsehstars dazu verpflichtet, für je hundert Familien Lebensmittel zu kaufen.

MennaLamps.JPG

Gehen Mohammed und ich in den Supermarkt in unserem Viertel einkaufen, habe ich das Gefühl, als würde ich eine Kriegszone betreten, ohne Bomben, natürlich, aber durchtränkt von dieser unsichtbaren Gefahr. Ich habe schreckliche Angst, etwas anzufassen, trage Plastikhandschuhe, eine Schutzmaske, in meiner Jackentasche Desinfektionsmittel. Zum Glück halten sich in Kairo die meisten an das Social Distancing, aber in kleineren Städten sind die Menschen achtlos. Ich hoffe, dass die Krise zumindest dazu beiträgt, Ägypter auf Hygienemassnahmen zu sensibilisieren. Denn noch ist das Bewusstsein für Infektionskrankheiten gering. Zuhause ziehe ich mich sofort um, wasche meine Kleider, desinfiziere Schlüssel und Handy, und reinige die Wohnung mit Clorox. Mohammed und ich tragen in diesen Zeiten keine Armbanduhren, nicht einmal unsere Eheringe, das Virus soll ja auch auf metallenen Flächen haften. 

Als würde ich eine Kriegszone betreten, ohne Bomben, natürlich, aber durchtränkt von dieser unsichtbaren Gefahr

Aus dem Haus begebe ich mich nur noch, wenn es sein muss, oder wenn wir unsere Eltern besuchen. Mein Vater, ein Philosophieprofessor, hat seine Vorlesungen zum ersten Mal in seinem Leben elektronisch aufbereitet, ein Meilenstein. Das erfüllt mich mit Hoffnung für die Zeit nach dem Lockdown. Immerhin wissen nun mehr Leute über e-Learning Bescheid als vorher. Einmal pro Woche habe ich eine virtuelle Sitzung mit meinen Arbeitskollegen, meine Aufträge erledige ich im Homeoffice, oftmals nachts, zwischen der Zeit des Fastenbrechens und dem Frühstück, dem Suhur, um drei Uhr morgens. Danach schlafe ich solang ich kann. Denn es gibt nichts zu tun, ich empfinde auch keinen Hunger mehr. Das ist ungewöhnlich, selbst während des Ramadans. Das Virus hat mir wohl den Appetit geraubt. Trotzdem - Mohammed und ich bereiten fürs Fastenbrechen immer ein besonderes Essen vor, er liebt es, zu kochen. Gestern gabs Chicken, mariniert mit Ketchup und BBQ-Sauce, an Ingwer, Zucchini, Karotten und Knoblauch. Es war wunderbar.”

MennaRamadanlamps.JPG





Mytilini, Griechenland

Mytilini, Griechenland